Hinweis, Januar 2020: Systemische Therapie ist als Psychotherapieverfahren für Erwachsene in Deutschland inzwischen ein sogenanntes Richtlinienverfahren (Aufnahme in die Psychotherapie-Richtlinie mit Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses, G-BA, am 22. November 2019, veröffentlicht im Bundesanzeiger am 23. Januar 2020). Sie ist damit Leistung der gesetzlichen Krankenversicherungen in der ambulanten Versorgung – neben den bisher zugelassenen psychoanalytisch begründeten Verfahren und der Verhaltenstherapie.

Der Gemeinsame Bundesausschuss hatte in seiner Sitzung vom 22. November 2018 den Nutzen und die medizinische Notwendigkeit der Systemischen Therapie für Erwachsene festgestellt; das Prüfverfahren für Systemische Therapie als Psychotherapieverfahren für Kinder und Jugendliche ist angekündigt.

DGSF & SG; Berlin/Köln, April 2013, Essentials Systemischer Therapie

Systemische Therapie ist ein wissenschaftlich anerkanntes psychotherapeutisches Verfahren, dessen Fokus auf dem sozialen Kontext psychischer Störungen liegt. Sie ist ein Psychotherapieverfahren, das weltweit in der ambulanten und stationären Psychotherapie sowie in der Rehabilitation und in der Prävention zu den am weitesten verbreiteten Behandlungsverfahren zählt. Sie ist allerdings in Deutschland noch kein sogenanntes Richtlinienverfahren und wird deshalb von den gesetzlichen Krankenversicherungen in der ambulanten Versorgung nicht bezahlt.

Systemische Therapie ist vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie als evidenzbasiert anerkannt

Systemische Therapie wurde im Dezember 2008 vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP) aufgrund ihrer Evidenzbasierung als wissenschaftlich anerkanntes Psychotherapieverfahren sowohl für die Psychotherapie Erwachsener als auch für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie eingestuft.

Systemische Therapie bezieht Angehörige und weitere Personen in die Behandlung ein

Systemische Therapie findet nicht nur als Einzeltherapie, sondern häufig als Mehr­personentherapie statt, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, aber auch bei erwachsenen Patienten. Häufig werden Angehörige oder manchmal auch andere für den Patienten relevante soziale Akteure in die Behandlung einbezogen. Formen sind beispielsweise systemische Paar- oder Familientherapie, systemische Multifamilien-Gruppentherapie oder systemische Gruppentherapie. Der Einbezug von Angehörigen in medizinische und psychotherapeutische Maßnahmen erhöht deren Wirksamkeit empirisch messbar.

Systemische Therapie wirkt schnell, weil sie auf Stärken, Lösungen und Ressourcen fokussiert

Ziel Systemischer Therapie ist, Patienten dazu anzuregen und zu ermutigen, schnell wieder auf eigenen Füßen zu stehen und ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Deshalb legt Systemische Therapie von Anfang an, oft schon in der ersten Sitzung, besonderen Wert auf Empowerment, Ressourcenaktivierung und Lösungsfokussierung.

Systemische Therapie erzeugt hohe Kundenzufriedenheit und Langzeitwirkung bei gleichzeitig geringen Kosten

  • Kundenzufriedenheit: Vorliegende Studien belegen eine hohe Zufriedenheit der Klientinnen und Klienten mit ihrer Therapie
  • Langzeitwirkung: Die Systemische Therapie erzielt „positive Schläfereffekte“. Das heißt: Vor allem bei Kontrolluntersuchungen ein, zwei oder vier Jahre nach Abschluss der Therapie zeigt Systemische Therapie in vielen Fällen bessere Ergebnisse als andere Verfahren
  • Kosten: Die Systemische Therapie ist ein besonders kostengünstiges Therapieverfahren, da sie mit vergleichsweise wenigen Sitzungen in längeren Abständen sehr gute Ergebnisse erzielt.

Systemische Therapie verringert die Inanspruchnahme weiterer Gesundheitsdienstleistungen

Empirische Studien und Übersichtsarbeiten zeigen besonders mittel- und langfristig in den Ein- bis Zweijahreskatamnesen verringerte Inanspruchnahme weiterer Gesundheitsdienst­leistungen nach Systemischer Therapie, verglichen mit anderen, einzeltherapeutischen Behandlungen.

Systemische Therapie wirkt auch bei schweren Störungen und den „Stiefkindern der psychotherapeutischen Versorgung“

Mithilfe Systemischer (Familien-)Therapie können insbesondere auch ansonsten als schwer behandelbar geltende Störungsbilder erfolgreich psychotherapeutisch behandelt werden, z. B. schwere Störungen des Sozialverhaltens, juvenile Delinquenz, Suchterkrankungen und Psychosen. Zudem zeigen empirische Befunde, dass gerade die „Stiefkinder der psycho­therapeutischen Versorgung“, wie etwa Migranten, chronisch körperlich, psychosomatisch und psychisch erkrankte Menschen, alte Menschen sowie Menschen aus sogenannten „Unterschichtmilieus“ oder „Multi-Problem-Familien“ mithilfe Systemischer Therapie besonders gut erreicht werden können.

Besonderheiten der Systemischen Therapie

Kooperation mit anderen Helfern und Profis

Systemische Therapie legt besonderen Wert auf die gelingende Zusammenarbeit mit wichtigen mitbehandelnden Ärztinnen und Ärzten, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie sozialen Diensten oder  Betreuungsdiensten. Weitere Helfer werden in die Behandlungsplanung einbezogen, immer wenn es sinnvoll und nützlich erscheint. So überwindet Systemische Therapie Systemgrenzen zwischen Gesundheitswesen, Jugendhilfe, Schule oder Justiz.

Co-therapeutisch

Systemische Therapie wird in bestimmten Situationen (Erstgespräch, bei stagnierendem Therapiefortschritt oder während heftiger Krisen) wirksamer durch punktuelle Hinzuziehung einer weiteren Therapeutin oder eines weiteren Therapeuten in die Sitzung(en). Vor allem in Mehrpersonensettings ist das co-therapeutische Arbeiten indiziert.

Flexible Setting-Gestaltung

Die Dauer zwischen den Sitzungen, die Teilnehmer an Sitzungen sowie die Sitzungsanzahl orientieren sich bei der Systemischen Therapie sehr stark an den „Aufträgen“ und dem Bedarf, den die Patientinnen und Patienten formulieren.

Formate Systemischer Therapie

In der bisherigen Versorgungspraxis gibt es folgende Anwendungsformen:

  • Systemische Konsultation, ein oder zwei Gesprächstermine, oft als Doppelsitzung, zur Abklärung des Behandlungsbedarfes, der dazu hinzuzuziehenden Personen und zur ersten Ressourcen- und Lösungsaktivierung.
  • Systemische Krisenintervention, ca. fünf Sitzungen, oft Doppelsitzungen in einem kurzen Zeitraum.
  • Systemische „Kurzzeittherapie“, ca. zehn Doppelsitzungen oder zwanzig Einzelsitzungen verteilt über etwa sechs bis neun Monate.
  • Systemische „Langzeittherapie“ bei schweren und/oder chronischen Störungen, ca. 20 bis 30 Doppelsitzungen oder 40 bis 60 Einzelsitzungen verteilt über mehrere Jahre.
  • In psychiatrischen Institutsambulanzen findet Systemische Therapie bei extrem traumatisierten oder psychosekranken Patienten oft in bis zu 30 Doppelsitzungen statt, verteilt über mehrere Jahre.
  • In der tagesklinischen Multifamilientherapie beispielsweise bei anorektischen Patienten werden gleichzeitig fünf bis acht Patienten mit ihren Familien in einem ähnlichen Zeitumfang behandelt.

Nutzen der Integration Systemischer Therapie in die ambulante Versorgung

Systemische Therapie ist ein evidenzbasiertes psychotherapeutisches Verfahren. Es kann Anwendung finden für sämtliche der vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie definierten Anwendungsbereiche bzw. Störungsbilder gemäß ICD-10 (Internationale Klassifikation psychischer Störungen). Komplementär zur aktuellen Richtlinien-Psychotherapie gemäß § 92 SGB V arbeitet Systemische Therapie mit einer geringeren Sitzungsanzahl, bezieht häufiger weitere Personen in die Behandlung ein und ist flexibler im Setting. Systemische Therapie kann deshalb einen wesentlichen Beitrag liefern, das Problem der Wartezeiten auf Therapieplätze zu verringern.

DGSF & SG

Berlin/Köln, April 2013